„Das hat in meinem alten Team super funktioniert – warum klappt das jetzt nicht mehr?“
Viele Führungskräfte kennen genau diese Frustration. Was in einem Team wie von selbst läuft, wirkt im anderen zäh. Ähnliche Prozesse, gleiche Tools – aber völlig andere Ergebnisse.
Die Antwort liegt in einem Denkfehler: Wir behandeln Teams häufig mechanisch, als Ansammlungen von Rollen, die zusammen „funktionieren“ sollen. Aber echte Teams sind viel mehr als eine solche funktionale Ansammlung. Teams sind soziale Systeme mit eigener Dynamik. Und wer diese Dynamik versteht, kann Teams nicht nur besser führen – sondern auch gezielter entwickeln.
Teams sind mehr als die Summe ihrer Teile
Aus systemtheoretischer Sicht (z.B. nach Niklas Luhmann) sind Teams nicht bloß eine Ansammlung von Menschen, die zusammenarbeiten, indem ihre Fähigkeiten ineinandergreifen wie die Zahnräder einer gut funktionierenden Uhr. Sie sind eigenständige soziale Systeme, die eine Eigenlogik entwickeln. Diese Logik bestimmt, wie man sich im Kontext des Teams verhält, was erlaubt ist und was nicht.
Wie sich eine Einzelperson in einem Team verhält und welche Facetten ihres Könnens sie beitragen kann, wird somit maßgeblich von der Dynamik des Teams bestimmt, nicht von der Einzelperson selbst. So kann ein Fußballspieler, der in der einen Mannschaft geglänzt, eine Führungsrolle im Team innegehabt hat und seine Fähigkeiten aufgrund der Teamdynamik auch im Spiel exzellent einbringen konnte, nach einem Wechsel in einem anderen Team plötzlich nicht mehr „funktionieren“. Der Spieler spielt zwar noch auf der gleichen Position und hat formal ganz ähnliche Aufgaben, das Team „tickt“ aber völlig anders, hat andere Führungs- und Kommunikationsstrukturen und lässt ganz andere Grade an individueller Entfaltung zu. Der Neuling hat noch die gleichen Fähigkeiten, die interne Logik des neuen Teams erlaubt es ihm aber nicht, diese voll zu entfalten.
Das erklärt, warum Teamveränderungen häufig Zeit brauchen. Neue Teammitglieder bringen neue Bedürfnisse mit und die interne Logik, nach der ein Team agiert, muss angepasst werden. Teams fallen zurück in eine Storming-Phase (ein leicht zugängliches Modell von Team-Entwicklungs-Phasen beschreibt Tuckman).
Take-away für Führungskräfte: Jedes Team entwickelt seine eigene Kultur und Logik, die das Teamhandeln prägt. Darauf kann nicht mechanistisch zugegriffen werden. Ein und dasselbe Führungshandeln wird in in zwei Teams völlig unterschiedlich wirken.
Zwei Ebenen – ein starkes Team
Ein gut funktionierendes Team ist kein Standardprodukt – sondern das Ergebnis von stetigen Aushandlungsprozessen, vielen gemeinsamen Erfahrungen und durchlebten Konflikten. Ein Team zu werden braucht Aufbauarbeit, die sowohl die sachliche als auch die soziale Ebene mitdenkt.
Echte Teams zeichnen sich durch zwei Grundlegende Dinge aus:
- eine klare sachliche Ausrichtung – also ein gemeinsames Ziel, ein Wofür
- eine stabile Beziehungsebene – also Vertrauen, Sicherheit und Bindung
Beide Ebenen zusammen können dazu führen, dass Teams erstaunlich performant werden und Hürden bewältigen, die sie nicht für möglich gehalten haben.
Sachliche Ausrichtung: Wofür sind wir eigentlich hier?
Eine gemeinsame Orientierung ist die Grundlage für Zusammenarbeit und dafür, dass sich Teammitglieder mit ihren Fähigkeiten einbringen. Hierbei geht es zunächst um die professionelle Ausrichtung – also die Verhandlung von Zielen und Verantwortlichkeiten.
Im professionellen Sport ist das meist recht klar: Es geht z.B. um Aufstiege, Qualifikationen, Meisterschaften oder Turniererfolge. Die Ziele sind nicht nur ambitioniert, sondern auch gemeinsam definiert, mit dem Trainerteam, mit dem Management, manchmal sogar mit Fans. Und: Sie sind laufend präsent – in der Kabine, auf dem Trainingsplatz, in Besprechungen. Häufig helfen sich Sportteams hier mit „Playbooks“, „Story Books“ oder einem Motto inkl. Geschichte für die Saison bzw. das Turnier.
Die sachliche Ausrichtung ist auch im Wirtschaftsleben professionalisiert. Zumeist starten neue Teams – egal welcher Art – damit, sich mit ihrem „Purpose“ auseinanderzusetzen. Sie fragen sich bewusst, wozu sie eigentlich da sind. Methoden hierzu sind beispielsweise Visions-Workshops oder Team-Kickoff-Workshops, in denen die Ausrichtung des Teams geschärft und Orientierung geschaffen werden.
Take-away für Führungskräfte: Führung bedeutet hier, Raum für diese Verständigungsprozesse zu schaffen. Nur wenn ein Team weiß, wofür es existiert, kann es sich selbst auf dieses Ziel ausrichten und sich mit dem Ziel identifizieren. (Mehr dazu findest du hier: https://www.valuerise-consulting.de/kategorie/team/)
Beziehungsebene: Raum für Menschlichkeit ermöglicht Vertrauen
Selbst die besten Ziele helfen wenig, wenn niemand sich traut, Kritik zu äußern oder sich kreativ und offen im Team einzubringen.
Wenn wir im Sport solche Mannschaften sehen, reden wir gern von „zusammengewürfelten Haufen“, in denen das „Mannschaftsgefüge“ nicht stimmt. Da professionelle Sportteams jede Saison in neuen Konstellationen bestreiten, wird bereits in der Saisonvorbereitung Wert darauf gelegt, auch die persönlichen Beziehungen der Teammitglieder zu fördern. Dabei kommen im Sport bewusste Teambuildingmaßnahmen ins Spiel – Mannschaften überwinden in tagelangen Touren die Alpen oder engagieren sich in sozialen Projekten.
Der Zweck solcher Maßnahmen ist, dass sich die Teammitglieder von einer anderen Seite zeigen, als sie das im professionellen Alltag tun. Ein verbissener und ehrgeiziger Teamkollege zeigt sich bei der Arbeit mit Kindern plötzlich liebevoll und geduldig, der Witzbold der Mannschaft reguliert Konflikte zwischen sich streitenden Gruppen auf dem Schulhof. Solche Erlebnisse ermöglichen es, sich gegenseitig ganz anders wahrzunehmen und Vertrauen aufzubauen. Das erleichtert es, Rücksicht auf die Bedürfnisse der Teammitglieder zu nehmen.
Neben solchen bewusst erzeugten Situationen hat der Sport den großen Vorteil hoher Emotionalität und Transparenz. Emotionen, Stress, Niederlagen – alles ist öffentlich. Spieler erleben sich in unterschiedlichsten Rollen – kämpfend, scheiternd, jubelnd. Außerdem verbringen sie sehr viel Zeit miteinander: Busfahrten, Trainingslager, Hotelnächte, Feiern. Das alles schafft Möglichkeiten für Kennenlernen und Nähe, auch außerhalb des Berufs – und damit entsteht Vertrauen.
In Unternehmen sieht das anders aus: Der Umgang ist oft funktional, professionell distanziert. Das „Arbeits-Ich“ ist sauber getrennt vom „echten Ich“. Individuelle Bedürfnisse werden im Arbeitskontext eher hintenangestellt. Manche KollegInnen machen dies ganz bewusst, indem sie z.B. Abendveranstaltungen gezielt auslassen. Doch so entstehen selten echte Teams – sondern nur Arbeitsgruppen, die sich zwar mit einer gemeinsamen Sache beschäftigen, aber keine gemeinsame Sache machen.
Take-away für Führungskräfte: Wer Teams entwickeln will, braucht Gelegenheiten, das Menschliche sichtbar zu machen:
- regelmäßige Check-ins mit echtem Interesse für die Menschen hinter den Rollen
- gemeinsame Erlebnisse auch außerhalb des Tagesgeschäfts
- Räume, in denen man scheitern darf, ohne bewertet oder bestraft zu werden
Lernen vom Sport: Nähe ist kein Zufall
Führungskräfte können vom Sport lernen, dass gemeinsame Zeit keine Kür, sondern Pflicht ist – zumindest, wenn man ein echtes Team formen will. Nicht als Kickerturnier mit Zwangscharme, sondern als Einladung zur Beziehung. Und dies können wir nicht erzwingen. Der Aufbau von Nähe braucht Zeit und die Bereitschaft der Teammitglieder, sich zu öffnen und mehr von sich preiszugeben als das professionelle Arbeits-Ich. Ohne eine solche Bereitschaft wird kein echtes Team entstehen. Dessen sollten sich alle Beteiligten bewusst sein.
Vertrauen entsteht nicht durch Appelle, sondern durch wiederholte Erfahrung:
- Ich werde gehört.
- Ich kann mich zeigen, wie ich wirklich bin.
- Ich werde nicht bestraft, wenn ich Fehler mache.
Deshalb braucht Teamführung:
- Regelmäßige Reflexion der Zusammenarbeit, sowohl auf der Arbeits- als auch der Beziehungsebene.
- Nachbesprechungen nach Konflikten.
- Ein Gespür für Unstimmigkeiten und den Mut, diese auch zur Sprache zu bringen.
Fazit: Teamdynamiken verstehen, statt diese nur zu managen
Bei ValueRise Consulting sind wir davon überzeugt, dass ein Team kein Uhrwerk ist, das man zusammensteckt und dann läuft es. Es ist ein lebendiges soziales System – mit eigener Logik, Geschichte und Sprache.
Für Dich als Führungskraft heißt das:
- Verabschiede dich vom Maschinenmodell. Teams funktionieren nicht durch Bedienungsanleitungen, sondern durch Beziehungsarbeit.
- Schaffe Orientierung. Ohne gemeinsames Ziel fehlt die Richtung.
- Gestalte Beziehung. Vertrauen entsteht durch Begegnung, nicht durch Appelle.
- Denke systemisch. Jedes Team ist anders – und genau deshalb braucht es Aufmerksamkeit und Gestaltung.
In der nächsten Folge unserer Reihe befassen wir uns mit Selbstorganisation und betrachten wiederum, wann sich Sportteams selbstorganisieren und welche Konsequenzen das für Trainer hat. Auch hieraus lässt sich wieder jede Menge für Führungskräfte in der Wirtschaft lernen.