OKR Ready? – Voraussetzungen und Herausforderungen beim Einsatz von OKRs am Fallbeispiel

In den letzten Jahren haben sich Objectives and Key Results (OKRs) zu einer der populärsten Methoden entwickelt, wenn es um die strategische Ausrichtung von Unternehmen geht. Viele Unternehmen setzen OKRs bereits ein oder planen deren Einsatz. Doch auch OKRs sind kein Selbstläufer, sondern benötigen gute Voraussetzungen, um ihr Potential entfalten zu können. Welche Voraussetzungen den erfolgreichen Einsatz von OKRs begünstigen und welche eher hemmen, beleuchten wir in diesem Beitrag anhand eines Fallbeispiels. Dabei gehen wir auch auf die unbeabsichtigten Folgen eines nicht optimal vorbereiteten OKR-Einsatzes ein.

Die Grundlagen von OKRs

OKRs bieten Unternehmen, Abteilungen, Teams und Individuen die Möglichkeit, ambitionierte Ziele zu entwickeln und deren Erreichungsgrad messbar nachzuhalten. Sie geben Orientierung und ermöglichen allen Beteiligten, auf die Zielerreichung einzuzahlen und kreativ mitzuwirken. Die Methode teilt sich in drei wesentliche Elemente:

  • Objectives: Objectives beschreiben qualitative Ziele, die ambitioniert und inspirierend sind, gern aus der Perspektive des Kunden. Ein Objective bildet einen gewünschten Zustand ab, den das Unternehmen anstrebt. Das Objective ist sinnstiftend und zeigt auf, wozu Arbeit investiert werden soll.
  • Key Results: Key Results sind messbare Indikatoren, die den Fortschritt auf dem Weg zum Objective aufzeigen. Sobald die Key Results erreicht sind, kann davon ausgegangen werden, dass auch das Objective erfüllt wurde. Key Results schaffen Klarheit darüber, welche Stellschrauben und Metriken zu beobachten sind, um den Erfolg von Initiativen zu beurteilen.
  • Initiativen: Initiativen operationalisieren OKRs auf der Umsetzungsebene. Sie sind konkrete Vorhaben, deren Ziel es ist, die Key Results zu beeinflussen. Damit beantworten sie die Frage, wie die Key Results erreicht werden.

Gute OKR-Implementierungen nutzen in der Regel 2-4 Objectives mit je 3 Key Results. Diese relativ geringe Menge fördert den Fokus aller Beteiligten auf die wesentlichen Ziele. Objectives und Key Results werden in einem iterativen Prozess sowohl top-down als auch bottom-up entwickelt. Das ermöglicht es, alle Ebenen eines Unternehmens aktiv an der strategischen Ausrichtung teilhaben zu lassen. Abstrakt beschrieben sieht das in etwa wie folgt aus:

  • Die Geschäftsführung formuliert zwei übergeordnete Objectives mit je 3 Key Results für das Quartal.
  • Anschließend machen sich alle im Unternehmen selbst Gedanken und formulieren eigene OKRs, ohne dabei aber alles von oben 1:1 herunterzubrechen (Kaskade).
  • Es findet ein Abgleich der top-down und buttom-up formulierten OKRs statt, der Anpassungen und Umdenken erlaubt. So werden die wichtigen Ziele des Unternehmens partizipativ erarbeitet und in den Mittelpunkt gerückt.
  • Die Arbeit an den übergeordneten Zielen lastet die Abteilungen nicht voll aus, so dass genug Zeit für zusätzliche Innovation, oder kontinuierliche Verbesserung bestehender Produkte/Funktionalität bleibt.

Dieser partizipative Ansatz erhöht nicht nur die Motivation, sondern aktiviert auch Potenziale, die oft ungenutzt bleiben, wenn nur das Top-Management für die strategische Zielsetzung verantwortlich ist.

OKRs und MBO – eine Unterscheidung

Da sowohl OKRs als auch Management by Objectives (MBO) Methoden zur Zielsetzung und -verfolgung in Unternehmen sind, werden sie häufig verwechselt oder verschwimmen. OKRs unterscheiden sich allerdings in einigen zentralen Punkte von MBO.

  1. Der buttom up Stream in OKRs fokussiert eine wesentlich stärkere Beteiligung von Teams und Individuen. Es ist hierbei explizit möglich, die Gesamtausrichtung von unten her zu beeinflussen. Dahingegen findet das Management by Objectives zwar interaktiv statt, ist zumeist aber durch eine Dominanz des Managements geprägt.
  2. OKRs gelten typischerweise unternehmensweit, abteilungs- und teamübergreifend, während MBO auf die spezifischen Aufgaben von Teams und Abteilungen fokussieren. OKRs fördern insofern Zusammenarbeit, während MBO darauf setzt, eigene Ziele zu erreichen.
  3. OKRs werden zumeist für unterschiedliche Zeithorizonte genutzt und stetig neu evaluiert. Zumeist gibt es sowohl Jahresobjectives als auch Quartalsobjectives, wobei diese regelmäßig geprüft und validiert werden. Das MBO bezieht sich hingegen häufig auf Jahresziele und operationalisiert diese bzgl. des Erreichungsgrads.
  4. Bei OKRs gilt eine Zielerreichung von ca. 70% meist bereits als Erfolg. OKRs erlauben „Moon-Shots“, setzen auf ambitionierte Ziele und fördern Kreativität und Innovation. MBO dagegen zielt auf eine 100%ige Zielerfüllung und begrenzt damit Innovation und Experimentierfreude.

OKRs zielen somit in einem wesentlich höheren Maß auf Mitgestaltung, Zusammenarbeit und Innvoation als MBO.

Herausforderungen bei der Einführung von OKRs: Ein Praxisbeispiel

Aufgrund dieser Vorteile von OKRs setzt auch einer meiner Kunden auf OKRs. In der konkreten Umsetzung treten allerdings immer wieder Hürden auf, die es zu überwinden gilt, um das volle OKR-Potential zu entfalten. Bei meinem Kunden zeigen sich diese Hürden vor allem in der angestrebten Menge an OKRs, der Frage nach dem Grad der Beteiligung der Unternehmensleitung hinsichtlich der Initiativen und der Struktur der Teams, die viele Abhängigkeiten fördert:

  1. OKRs als Korsett für alle Aufgaben der Organisation

Erstens scheitert eine saubere OKR-Implementierung daran, dass das Unternehmen versucht, sämtliche im Unternehmen vollzogene Arbeit im OKR Prozess abzubilden. So werden auch operative Tätigkeiten, die zwar wichtig sind, um das Geschäft erfolgreich zu führen, aber keinerlei Bezug zur strategischen Entwicklung haben, ins OKR-Korsett gezwängt. Das führt dazu, dass unheimlich viele OKRs definiert werden (20 – 40 Objectives und 70 – 90 Key Results) und der Fokus, den OKRs bieten können, völlig verloren geht. Außerdem leidet die Qualität der Formulierungen der Objectives und Key Result hierunter, denn viele der OKRs ähneln eher Tätigkeitsbeschreibungen als ambitionierten, zukunftsorientierten Zuständen mit messbaren Indikatoren. Statt qualitativen, motivierenden Objectives und messbaren Key Results entstehen oft operative Aufgabenlisten, die das gesamte Konzept der OKRs verwässern.

Die Folge: Das OKR-System wird für die Entwicklungsteams zu einer administrativen Last, wird als anstrengend empfunden und verliert an Bedeutung. Statt die Bedeutung strategischer Ziele zu untermauern und die Möglichkeit der Mitarbeit daran zu ermöglichen, sind die Mitarbeitenden genervt von OKRs.

  1. Starkes Bedürfnis nach Kontrolle im Management

Ein zweites Problem ist die stark ausgeprägte Top-Down-Mentalität im Unternehmen. Dem Management, das früher durch ausgeprägte Formen der Detailsteuerung und Kontrolle erfolgreich war, fällt es schwer, die Zügel zu lockern und das für OKRs notwendige Maß an Mitgestaltung von unteren Ebenen zuzulassen. Dies wäre angesichts der stark gestiegenen Größe des Unternehmens und der Vielzahl unterschiedlicher Tätigkeiten allerdings notwendig. Die schiere Menge und Komplexität von Themen macht eine Detailbeteiligung der Unternehmensleitung an allen Themen unmöglich.

Außerdem mangelt es auf den unteren Hierarchieebenen an Transparenz bzgl. den Erfolgstreibern der Organisation. Wichtige Metriken und Kenntnisse zum Kundenverhalten sind nur auf Ebene des Top-Managements vorhanden und können daher auf den ausführenden Ebenen kaum als Key Results eingesetzt bzw. verfolgt werden.

Die Folge: Der Ansatz verkommt zu einer Form von „Management by Objectives“, bei dem nur top-down gesteuert wird und das eigentliche Potenzial von OKRs, nämlich die Kreativität aller, nicht genutzt wird. Dies nimmt besonders schwerwiegende Ausmaße an, wenn das Management dem Drang nachgeht, auch die konkrete Ausgestaltung der Initiativen bestimmen zu wollen. Dann wird den umsetzenden Kräften jegliche Kreativität und Selbstbestimmung genommen.

  1. Hohe Abhängigkeiten und lange Umsetzungszeiträume aufgrund der existierenden Organisationsstruktur

Drittens scheitert der erfolgreiche OKR-Einsatz an enormen Abhängigkeiten zwischen den umsetzenden Teams. Größere Funktionalitäten oder Änderungen benötigen meist die Zusammenarbeit vieler Teams und Abteilungen, was erheblichen Koordinationsaufwand bedeutet. Dabei helfen insbesondere die OKR-Planungssessions einerseits dabei, die richtigen Akteure an einen Tisch zu bekommen, sodass diese sich koordinieren können. Da andererseits die wichtigsten OKRs allerdings immer wieder die gleichen Teams und Akteure betreffen, entsteht in Kombination mit der großen Menge an OKRs eine Überlast, die nicht zu bewältigen ist. Zudem gelingt es nur äußerst selten, innerhalb eines OKR-Zyklus auch wirklich messbare Veränderungen zum Kunden zu bringen. Denn kleinere Veränderungen innerhalb ihrer Bereiche können die Teams zwar sehr schnell umsetzen, größere kundenorientierte Funktionalitäten brauchen aufgrund der benötigten Abstimmung aber meist mehr als die typischen 12-Wochen, die für OKR-Zyklen vorgesehen sind.

Die Folge: Die tatsächlichen Auswirkungen der OKR-Planung werden oft erst nach mehreren Zyklen sichtbar, was dazu führt, dass die Ergebnisse eines Zyklus kaum Einfluss auf die Planung des nächsten haben. Ohne klare Rückkopplung und Sichtbarkeit des Fortschritts leidet die Nachvollziehbarkeit und das Vertrauen in das System schwindet.

Fazit: OKR-Readiness als entscheidender Erfolgsfaktor

Das beschriebene Unternehmen ist schlichtweg nicht „OKR-ready“. Die bestehende Unternehmenskultur, die etablierten Handlungsmuster und Entscheidungsprozesse (vor allem die ausgeprägte Top-Down-Kaskade) sowie das Bedürfnis nach Kontrolle verhindern, dass OKRs ihr Potenzial entfalten können. In solchen Fällen ist es ratsam, alternative Methoden zur strategischen Steuerung in Betracht zu ziehen. So probieren wir aktuell beispielsweise, inwieweit uns ein sauber aufgesetztes Portfolio dabei hilft, die Menge an Arbeit im System transparent zu machen und anschließend konsequent zu begrenzen. Wir versprechen uns davon, dass wir das Bedürfnis nach Transparenz über jegliche Arbeitsvorgänge erfüllen und den OKR-Ansatz davon entlasten, jegliche Form der Arbeit integrieren zu müssen. Stattdessen ermöglicht uns die klare Übersicht über die laufende Arbeit eine Beurteilung von Kapazitäten der Teams und eine Reduktion der Objectives. Aktuell ist es noch zu früh, dieses Experiment zu bewerten, die Bereitschaft, es gemeinsam auszuprobieren, werten wir aber als positives Zeichen.

Was bedeutet das für euer Unternehmen?

Bevor OKRs eingeführt werden, sollte eine sorgfältige Prüfung der Rahmenbedingungen erfolgen. Ist euer Unternehmen bereit für OKRs? Sind die Voraussetzungen geschaffen, damit sie erfolgreich eingesetzt werden können? Dabei gilt es insbesondere, die herrschende Führungskultur, die Entscheidungswege und die Organisationsstruktur zu betrachten:

  • Führungskultur: OKRs benötigen die Akzeptanz eines Mitspracherechts auf allen Ebenen sowie eine Offenheit bzgl. der Lösungsmöglichkeiten. Herrscht eine Führungskultur, die hier stets die Zügel in der Hand haben möchte, benötigt es zunächst Arbeit auf dieser Ebene. Ansonsten wird Potential verschenkt.
  • Entscheidungswege: Die Arbeit nach OKRs wird durch lange, hierarchisch geprägte Entscheidungswege stark eingedämmt bzw. verlangsamt. OKRs sind so angelegt, dass sie Experimentierfreudigkeit und innovative Lösungen fördern. Dies gelingt häufig nur dann, wenn Entscheidungen schnell und eigenständig getroffen werden können – und zwar auf der Arbeitsebene.
  • Organisationsstruktur: OKRs benötigen die Möglichkeit, dass möglichst unabhängige Einheiten sie verfolgen können. Liegt eine Teamstruktur wie im Fallbeispiel vor, bei der viele Abhängigkeiten bestehen und kundenbezogene Features häufig enorme Koordinationsaufwände nach sich ziehen, so wird es schwierig, fokussiert Objectives zu verfolgen, zumindest dann, wenn die Zahl an Objectives zu hoch ist. Zudem besteht die Gefahr, dass Priorisierungskonflikte auf der Teamebene entstehen, da im Team entschieden werden muss, welches Objective nun wichtiger ist. Dies kann mit autonomen Einheiten verhindert werden. Gleichzeitig werden die Experimentierfreude und Geschwindigkeit höher, wenn Teams sich eigenständig einzelnen OKRs verschreiben können.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, steht einem erfolgreichen OKR-Einsatz nichts im Wege. Sind sie nur teils oder gar nicht erfüllt, müsst ihr euch fragen, ob ihr OKRs wirklich nutzen wollt oder eventuell andere Methoden besser zu euch passen. Entscheidet ihr euch für OKRs, so macht euch bewusst, welche Baustellen ihr zunächst noch bearbeiten möchtet oder bewusst in Kauf nehmt und managed diesen Change ganz bewusst.