Scrum Master sind zentrale Akteure in der agilen Produktentwicklung. Sie sollen Teams befähigen, Hindernisse beseitigen, Organisationen weiterentwickeln und das Rahmenwerk Scrum lebendig machen. Doch in der Praxis begegnen uns immer wieder Scrum Master, deren Wirkung bestenfalls neutral ist. Sie moderieren Meetings, achten auf Timeboxes und bringen dem Team einen Obstkorb – doch die echten Probleme bleiben unangetastet. Dieser Artikel zeigt dir, woran du einen guten Scrum Master erkennst.
Symptome ineffektiver Scrum Master
Ineffektive Scrum Master zeigen oft typische Verhaltensmuster:
- Verwechslung von Moderation und Führung: Es wird ausschließlich auf neutrale Meetinggestaltung gesetzt, statt aktiv Einfluss auf Dynamiken und Strukturen zu nehmen. Die Frage „Wozu sind wir hier?“ wird nicht gestellt.
- Reaktives statt proaktives Handeln: Probleme werden erst angegangen, wenn das Team eskaliert. Verantwortung wird vermieden.
- Fokus auf Regelkonformität statt Wert: Die „Scrum-Polizei“ achtet auf korrekte Timeboxes und Begrifflichkeiten, aber nicht auf Ergebnisse und Mehrwert für die Beteiligten.
- Symbolische Gesten ersetzen Wirksamkeit: Der Obstkorb steht bereit, aber fundamentale Probleme bleiben unbearbeitet. Ein gerne genutzer Satz ist: „Daran kann ich doch sowieso nichts ändern.“
- Konfliktscheue: Gespräche mit Management, Product Owner oder Nachbarabteilungen werden vermieden, obwohl dort zentrale Blockaden liegen.
Hinter all dem steckt oft ein Missverständnis darüber, was die eigentliche Aufgabe eines Scrum Masters ist: nämlich Impediments zu erkennen und zu beseitigen.
Was ist ein Impediment?
Ein Impediment ist ein Problem, das den Fortschritt zum Ziel behindert – und nicht vom restlichen Scrum-Team allein gelöst werden kann. Genau hier liegt der Hebel des Scrum Masters: Er unterstützt das Team nicht nur bei der Identifikation solcher Hindernisse, sondern arbeitet aktiv an deren Auflösung. Dabei sollte er systematisch und strukturiert vorgehen.
Ein hilfreiches Denkmodell ist die Pyramide der Impediments. Sie differenziert Hindernisse nach ihrem Ursprung und zeigt, wo und wie Scrum Master wirksam werden können.
Die Pyramide der Impediments: Wo ein guter Scrum Master ansetzt
1. Impediments auf Ebene der Agilen Methoden
Diese Ebene umfasst Probleme, die direkt im Scrum-Prozess selbst liegen: Missverständnisse, Überfrachtung mit Meetings, unklare Rollen oder fehlende Klarheit über die Scrum-Mechanik.
Beispiele für Impediments auf dieser Ebene: Das Team beschwert sich über zu viele Meetings. Tatsächlich gibt es täglich ein Daily Scrum, alle zwei Wochen eine Sprint Retrospektive, ein Sprint Planning und ein Sprint Review. Die Meetings fühlen sich ineffektiv an, manche laufen aus dem Ruder, andere wirken wie Zeitverschwendung. Der Nutzen ist unklar, der Ablauf weder effizient noch aktivierend.
So sieht gute Arbeit aus: Der Scrum Master reflektiert gemeinsam mit dem Team die Meetingstruktur, moderiert Meta-Diskussionen über Sinn und Ziel jedes Events, coacht Einzelne in ihrer Meetingkompetenz und sorgt dafür, dass Scrum-Events wieder zielgerichtet und hilfreich werden. Das Team erkennt den Wert der Events und gestaltet diese zunehmend selbstbewusst mit. Nach einem solchen Termin freuen sich die Teilnehmer schon auf den nächsten, weil jeder einen ganz konkreten Mehrwert für sich mitgenommen hat und den Nutzen versteht.
2. Team-Impediments
Hier geht es um zwischenmenschliche Dynamiken, Kommunikationsprobleme oder mangelndes Vertrauen. Ein Team ist nicht automatisch ein Team, nur weil es so genannt wird.
Beispiele für Impediments auf dieser Ebene: Zwei Teammitglieder kommunizieren kaum miteinander. Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen getroffen, Konflikte werden ausgesessen. Die Teamleistung leidet.
So sieht gute Arbeit aus: Der Scrum Master beobachtet aufmerksam, adressiert Spannungen behutsam, aber klar. Er bringt Tools zur Teamentwicklung ein (z. B. Team-Canvas, Rollenklärung, Feedbackrunden) und fördert eine offene Kommunikationskultur. Mit der Zeit entstehen Vertrauen, geteilte Verantwortung und ein echtes „Wir“-Gefühl im Team. Die Teammitglieder freuen sich auf die Teamkollegen und gehen gerne auch die „Extrameile“, um jemandem in Not zu helfen.
3. Engineering Exzellenz
Diese Ebene umfasst alles, was mit Qualität, Handwerkskunst und professionellem Arbeiten zu tun hat. Das betrifft nicht nur Entwickler, sondern auch Product Owner und den Scrum Master selbst.
Beispiele für Impediments auf dieser Ebene: Das Team liefert funktionierende Software, aber ohne automatisierte Tests. Fehler treten regelmäßig beim Kunden auf. Der Product Owner priorisiert ausschließlich neue Features, technische Schulden werden ignoriert. Bewertungen des „Value“ von Product Backlog Items sind unpräzise oder rein subjektiv und nicht quantifiziert.
So sieht gute Arbeit aus: Der Scrum Master macht Qualitätsprobleme sichtbar, eröffnet Dialoge über langfristige Produktverantwortung, bringt Erfahrungswerte ein, organisiert Wissensaustausch und hilft dem Team, technische Exzellenz als Teil der Definition of Done zu verankern. Grundsätzlich gilt, dass eine gut beherrschte dritte Ebene der Pyramide der Impediments dazu führt, dass alle Beteiligten wissen, an welchen Stellen sie noch besser werden können und dafür auch Entwicklungspläne erstellt haben. Jeder weiß, wo noch Entwicklungspotenzial liegt, und arbeitet aktiv daran – inklusive des Product Owners.
4. Impediments an verwandten Prozessen
Hier geht es um Probleme in angrenzenden Bereichen der Wertschöpfungskette: Anforderungsmanagement, Tests, Deployment, etc.
Beispiele für Impediments auf dieser Ebene: Das Anforderungsdokument wird vom Fachbereich geschrieben und an das Team übergeben. Es fehlen Kontext, Nutzerperspektive und Feedbackzyklen. Nach dem Coding in Scrum wird das Ergebnis an ein QS-Team übergeben und dort auch deployed. Statt Scrum wird Water-Scrum-Fall gelebt.
So sieht gute Arbeit aus: Der Scrum Master initiiert Gespräche mit angrenzenden Abteilungen, holt zusammen mit dem PO Stakeholder in Reviews, unterstützt beim Aufbau interdisziplinärer Austauschformate und hilft dabei, den Product Owner zu stärken. Die Anforderungen werden nutzerzentrierter, iterativer und integrierter. Die QS wandert ins Team hinein, genauso wie das Deployment. So wird aus Water-Scrum-Fall zunächst Water-Scrum und dann schließlich echtes Scrum.
5. Impediments in allgemeinen Prozessen
Diese Ebene betrifft Hindernisse, die außerhalb der direkten Wertschöpfung liegen, aber trotzdem starken Einfluss auf die Teams haben: Karrierepfade, Budgetprozesse, HR-Regelungen, Einstellungsprozesse, etc.
Beispiele für Impediments auf dieser Ebene: Karrierepfade im Unternehmen gibt es nur für Führungskräfte und Experten in einem Spezialgebiet: Wer T-Shaped arbeitet, also Grundwissen in vielen Bereichen hat und eher als Generalist fungiert, bleibt außen vor. Auch dysfunktionale Budgetierungsprozesse oder das Vorsetzen neuer Kollegen ohne Veto-Recht des Teams fallen unter diese Kategorie.
So sieht gute Arbeit aus: Der Scrum Master identifiziert strukturelle Widersprüche, bringt sie in Gesprächen mit HR oder Führungskreisen ein, regt Dialoge über Zielsysteme an, vermittelt systemisches Verständnis und initiiert erste Veränderungen. Die Organisation beginnt, ihre Prozesse an der angestrebten Zusammenarbeit auszurichten. Gute Scrum Master sprechen die Sprache des Managements und bauen Brücken statt Mauern.
Fazit: Gute Scrum Master wirken am System, nicht nur im Team
Woran du einen guten Scrum Master erkennst, sollte nun etwas klarer sein: Er denkt nicht in Events und Checklisten. Er denkt in Wirkung. Dabei kennt er die Pyramide der Impediments und nutzt sie, um zielgerichtet auf die passende Ebene einzuwirken. Er übernimmt Verantwortung, benennt unbequeme Themen und gestaltet aktiv die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Zusammenarbeit. Als echte Führungskraft dient er seinem Team und der Organisation.
Drei Interviewfragen, mit denen du gute Scrum Master erkennst
Wenn du auf der Suche nach einem neuen Scrum Master bist (und diesen nicht von ValueRise Consulting mieten möchtest), können dir vielleicht die folgenden Fragen helfen:
- „Erzähle mir von einem Impediment, das außerhalb deines Teams lag. Wie hast du es identifiziert und gelöst?“
- Gute Antworten zeigen systemisches Denken und Wirksamkeit auch außerhalb des Teams. Die Größe der Impediments gibt außerdem einen Hinweis darauf, wie wirksam der Scrum Master in seiner Organisation ist.
- „Wie gehst du mit Spannungen zwischen Teammitgliedern um? Was ist deine Rolle dabei?“
- Gute Antworten zeigen einerseits ob jemand Führung übernimmt, ohne dabei die Verantwortung von den Teammitgliedern zu nehmen – also Führung durch Stärkung. Gleichzeitig kann auch herausgefunden werden, ob der Scrum Master sich rechtzeitig Hilfe holt, wenn der Konflikt unlösbar wird.
- „Wie stellst du sicher, dass Scrum nicht nur eingehalten, sondern sinnvoll angewendet wird?“
- Gute Antworten fokussieren auf Wirkung statt Formalien. Erwartet der Scrum Master „Gehorsam“, oder sieht er sich selbst als Enabler und Wertmaximierer für sein Team?